86° WALTER HALİT

Das Kunstwerk 86° WALTER HALİT auf dem Dach des Regierungspräsidiums Kassel erinnert an Walter Lübcke und an Halit Yozgat, die beide von Naziterroristen ermordet wurden

86° WALTER HALİT

Zwei Namen strahlen weit in leuchtenden Farben. Wer ist Walter? Und wer ist Halit? Dr. Walter Lübcke war Regierungspräsident in Kassel und wurde in der Nacht des 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha von einem Rechtsextremisten ermordet. Der 21-jährige Halit Yozgat wurde am Nachmittag des 6. April 2006 in seinem beliebten Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel aus rassistischen Motiven von Rechtsextremisten des NSU ermordet.

Die Lichtinstallation wurde von der Künstlerin Natascha Sadr Haghighian geschaffen. Im Jahr 2021 wurde sie vom Regierungspräsidium Kassel gefragt, ein Kunstwerk im Gedenken an den ermordeten Regierungspräsidenten zu entwerfen. Die Initiative kam von Mitarbeiter*innen des Präsidiums. "Mein erster Gedanke war: „Ich kann nicht Walter sagen, ohne auch Halit zu sagen.“ Auch Halit Yozgat war in Kassel von Rechtsextremen ermordet worden, dreizehn Jahre vor Walter Lübcke. Daher habe ich ein gemeinsames Gedenken an diese beiden Menschen vorgeschlagen. Ihre Namen sollte jede*r kennen", sagt die Künstlerin, die sich in ihrem Schaffen immer wieder kritisch mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Rassismus auseinandersetzt und auch am Zustandekommen des Tribunal NSU-Komplex auflösen 2017 im Schauspiel Köln beteiligt war.

86° WALTER HALİT ist ein zweischenkliges Lichtobjekt. In großen Lettern sind die Namen Walter und Halit zu lesen. Die beiden Namen weisen in verschiedene Himmelsrichtungen und treffen sich in einem Winkel von 86°. Das Objekt scheint wie eine zusätzliche Ecke über den nordöstlichen Rand des Daches hinauszuragen. Hinter den Namen verlaufen Spektralfarben von Gelb-Orange zu Magenta-Violett. Die Namen WALTER und HALİT sind in dem Schriftfont MARTIN gesetzt, benannt nach dem Schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. Der Font beruht auf Posterkampagnen der Bürgerrechtsbewegung und steht für eine Kontinuität von antirassistischen Kämpfen.

Der Name Walter schaut in Richtung Wolfhagen-Istha, wo Dr. Walter Lübcke wohnte und wo er ermordet wurde. Der Name Halit schaut in Richtung Holländische Straße, wo Halit Yozgat lebte und wo er ermordet wurde. Die beiden schauen also sozusagen nach Hause. "Der Ort, an dem man am verletzlichsten, am wehrlosesten ist. Das ist auch das Niederträchtige an den Taten. Halit Yozgat war in Kassel zu Hause. Genauso wie Walter Lübcke. Es ist ganz simpel", so die Künstlerin.

Das Kunstwerk auf dem Dach des Kasseler Regierungspräsidiums wurde durch Spenden finanziert, denn es gab ein gemeinschaftliches Interesse an seiner Umsetzung, sagt Haghighian in einem Gespräch mit der taz. Die Webseite des Projekts wurde aus öffentlichen Mitteln finanziert. Beim Öffnen der Seite findet sich nun ein Disclaimer, dass die dargestellten Inhalte der künstlerischen Freiheit entsprechen und nicht den Ansichten des Landes Hessen oder der Stadt Kassel. Diese Distanzierung sei begrüßenswert, meint die Künstlerin. Schließlich bringe sie so das Verhältnis zwischen ihr und dem Staat auf den Punkt und sie weist auf einen ungelösten Konflikt hin, nämlich die Tatsache, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme weiterhin dort arbeitet. Er war am Tatort, als Halit Yozgat vom NSU ermordet wurde. Ob er den Schuss abgab oder als Augenzeuge zusah, wurde bis heute nicht aufgeklärt. Temme wurde nicht angeklagt, lediglich vom Landesamt für Verfassungsschutz unter Lübcke zum Regierungspräsidium versetzt.

Auf der Webseite https://86grad.net gibt es unter andem eine zweiteilige Audio-Erzählung zu 86° WALTER HALİT.



Verfasst am Samstag, 18. Oktober 2025