Am 9. Juni 2004 explodierte in der Keupstraße in Köln-Mülheim eine Nagelbombe. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, einige davon schwer. Die Betroffenen leiden bis heute unter den Folgen. Obwohl Zeugenaussagen und die Art der Bombe (ein mit Nägeln gefüllter Sprengsatz) sowie der Tatort (eine belebte Geschäftsstraße) einen Terrorakt nahelegten, schloss der damalige SPD-Innenminister Otto Schily ein rechtsterroristisches Motiv bereits Stunden nach der Tat aus. So richteten sich die Ermittlungen der Polizei bis zur Selbstenttarnung des NSU 2011 ausschließlich gegen die Betroffenen und ihr Umfeld. Sie bezeichneten dieses Muster der rassistischen Ermittlungen deshalb treffend als "Bombe nach der Bombe".
Trotz der großen öffentlichen Empörung über den diskriminierenden Umgang der Behörden mit den Betroffenen, zahlreicher parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und dem NSU-Prozess in München blieben zentrale Fragen im NSU-Komplex unbeantwortet, vor allem nach dem Netzwerk der Mörder, der Rolle der Geheimdienste und warum die Behörden Hinweisen auf Nazis als Täter nicht nachgingen.
In der Nähe des Tatortes an der Keupstraße soll nach den Wünschen der Betroffenen und des Rates der Stadt Köln ein Mahnmal errichtet werden, das an die rassistischen Anschläge des NSU in Köln erinnert und die Geschichten der Betroffenen und die Kämpfe gegen Rassismus und Antisemitismus sichtbar macht. Nach den Plänen des Berliner Künstlers Ulf Aminde soll dort ein kleiner Platz entstehen und eine App abrufbar sein, die von der Migrationsgeschichte und den Kämpfen gegen Rassismus erzählt.
Obwohl an dem digitalen Archiv bereits intensiv gearbeitet wird, ist offen, wann der Ort der Begegnung, Erinnerung, Kunst und Kultur endlich realisiert wir. Wir haben deshalb kürzlich den Offenen Brief „Erinnern jetzt - Das Mahnmal in der Keupstraße realisieren" an die Überbürgermeisterin und die Eigentümerin initiiert. Zahlreiche Initiativen, Organisationen und über tausend Einzelpersonen unterstützen die Forderung nach sofortiger Nutzung des leerstehenden alten Feuerwehrgebäudes als Ort des Mahnmals.
Wie wichtig ein solcher Gedenkort ist, zeigt die erschreckende Dimension rechter Gewalt und die Besorgnis erregende Maß an beharrlichem Leugnen, Vertuschen und Verharmlosen politisch rechter, rassistischer und antisemitischer Tatmotive durch die Ermittlungsbehörden sowie die mangelnde Bereitschaft, die ganz normalen Instrumente der Kriminalistik und Strafverfolgung bei rechten Gewalttätern adäquat anzuwenden. Zum Beispiel Solingen: Als dort im März 2024 vier Menschen bei einem Brand in ihrem Haus ermordet wurden, darunter zwei kleine Kinder, vertuschte die Wuppertaler Polizei zahlreiche Beweismittel, die auf ein rassistisches Motiv des Verbrechens hinwiesen. Nur dem beharrlichen Druck der Anwältin der Überlebenden Seda Başay-Yıldız ist es zu verdanken, dass nun immer mehr Beweismaterial auftaucht, dass Rassismus als Motiv immer deutlicher macht.
Die Betroffenen in der Keupstraße kämpfen bis heute gemeinsam mit Initiativen für Aufklärung, politische Konsequenzen und Erinnerung im NSU-Komplex und stehen an der Seite von anderen Überlebenden und Angehörigen rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie von rassistischer Polizeigewalt und ihre tödlichen Folgen wie zuletzt bei dem Mord an Lorenz A. in Oldenburg.
Kommt am Jahrestag des Nagelbombenanschlags auf die Keupstraße zur Gedenkkundgebung mit Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt und von rassistischer Polizeigewalt Betroffenen sowie solidarischen Initiativen.
Außerdem im Programm die Ausstellung "Stopp. Zuhören. Begegnen" von Cana Bilir-Meier, Chana Boekle, Silvia Troian, Talya Feldman und Carlos Ángel Luppi. https://stopp-zuhoeren-begegnen.de/ Sie ist rund um den Veranstaltungsort zu entdecken und erzählt eine Geschichte von Widerstand und Resilienz im Kontext des Erinnerns an rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Nordrhein-Westfalen nach 1945.
Im Café Paradies, Keupstraße64 ist zudem weiterhin die Ausstellung "Keupstraße 5000 Köln 80" des Berliner Fotografen maro mit sehenswerten Fotos aus den Jahren 1980 bis 1983 zu bestaunen.
Das Programm aller beteiligten Initiativen und Institutionen: https://muelheim.sozialraumkoordination.koeln/2966/4319.html
Initiative Herkesin Meydanı — Platz für Alle, Genovevastraße 94, 51063 Köln, platzfueralle@posteo.de
in Kooperation mit der Chancenwerkstatt für Vielfalt und Teilhabe/AWO Bezirksverband Mittelrhein e.V., Integrationsagentur
(mr)